Keine Prozesskostenhilfe für psychisch Geschädigte

EGMR, 19. Juli 2018, (Az.: 486/14)

W. Storck wurde auf Betreiben ihres Vaters als Volljährige in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.
Eine richterliche Anordnung für die zwischen dem 29.07.1977 und 05.04.1979 erfolgte Unterbringung gab es nicht.
Bei ihr wurde eine hebephrene Schizophrenie festgestellt, eine Fehldiagnose.
Sie wurde mit Neuroleptika zwangsbehandelt, ohne dass ihre Kinderlähmung ausreichend berücksichtigt wurde.
Infolge der Behandlung ist sie heute zu 100 % schwerbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen.
Eine Schadensersatzklage gegen die Klinik blieb vor den deutschen Gerichten ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte am 16.06.05, dass Deutschland das Recht von Storck auf Freiheit und Sicherheit verletzt hat und sprach ihr 75.000 € Entschädigung zu.

Daraufhin wollte Storck die Klinik nochmal zivilrechtlich belangen. Den Prozesskostenhilfeantrag lehnten die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht ab.
Vor dem EGMR hatte die dagegen eingelegte Beschwerde nun keinen Erfolg. Storck habe für das Wiederaufnahmeverfahren keine neuen Aspekte vorgetragen.
Deutschland habe ihr neben den 75.000 € weitere 17.000 € wegen des abgelehnten Prozesskostenhilfeantrags als Entschädigung angeboten.

Ehrenamtliche Betreuung ist vorrangig

BGH, 11. Juli 2018, (Az.: XII ZB 642/17)

In seinem Beschluss stellt der BGH klar, dass eine ehrenamtliche Betreuung grundsätzlich Vorrang vor einer Berufsbetreuung habe.

Die betreute Person hat zwar wegen ihres Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich die freie Wahl zwischen mehreren geeigneten Betreuern. Dies gilt jedoch nicht bei der Wahl zwischen einem Berufsbetreuer und einem ebenfalls geeigneten ehrenamtlichen Betreuer.

Ehrenamtliche Betreuung ist vorrangig zu behandeln, da Berufsbetreuer mit ihren besonderen Qualifikationen denjenigen Betroffenen vorbehalten sein sollen, die deren Fähigkeiten und Kenntnisse besonders benötigten.
Die Bestellung über qualifizierte Betreuer soll nach Möglichkeit vermieden werden.

Eine Berufsbetreuung kommt dann in Betracht, wenn die betreute Person den ehrenamtlichen Betreuer gänzlich ablehnt und eine Betreuung ansonsten nicht möglich ist.

Schadensersatz für zu späte Wiedereingliederung

LAG Berlin – Brandenburg, 23. Mai 2018 (Az.: 15 Sa 1700/17)

Verzögert ein Arbeitgeber ohne ausreichenden Grund die Wiedereingliederung eines schwer behinderten Arbeitnehmers in die Arbeit, muss er für den entgangenen Lohn Schadensersatz zahlen.

Voraussetzung für die Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme für einen schwer behinderten Arbeitnehmer sei es, dass dieser eine ärztliche Bescheinigung vorliegt. Darin müssen die Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkungen, der Umfang der Arbeitszeit und die Dauer der Maßnahme angegeben sein. Auch eine Prognose, ab wann voraussichtlich die volle Arbeitsfähigkeit besteht, darf nicht fehlen.

Keine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe bei Begründung einer eheähnlichen Gemeinschaft und erstmaligen Bezug einer gemeinsamen Wohnung

Aus den Leitsätzen:

1. Ein wichtiger Grund zur Aufgabe des Arbeitsplatzes zwecks Umzuges zum Lebensgefährten kann sperrzeitrechtlich auch bei der erstmaligen Begründung eines gemeinsamen Haushaltes vorliegen (aA BSG vom 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R = SozR 4-4300 § 144 Nr 16).

2. Ein Ruhenszeitraum infolge Sperrzeit steht einem Zahlungsanspruch auch dann entgegen, wenn die Agentur für Arbeit diese Sperrzeit mit bestandskräftigem Bescheid für einen späteren Zeitraum festgestellt hat.

 

LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 12.12.2017 (Az. L 7 AL 36/16)

Rückwirkende Betriebsrente wegen Erwerbsminderung

Aus den Leitsätzen:

1. Es ist nicht zu beanstanden, wenn eine Pensionskasse in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelt, dass diejenigen Mitglieder, deren Arbeitsverhältnis bereits beendet ist, erst ab dem Monat der Antragstellung eine Betriebsrente wegen einer Erwerbsminderung erhalten.

2. Nicht zulässig ist es aber, diese Antragstellung mit dem Erfordernis des Nachweises einer Erwerbsminderung durch Vorlage des Rentenbescheides des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers oder eines amts- oder werksärztlichen Attestes zu verbinden. Hierdurch werden die Pensionsberechtigten unangemessen benachteiligt i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB . Der Beginn der Bezugsberechtigung wird damit davon abhängig gemacht, wie zügig und sorgfältig ein Sachbearbeiter bei der Rentenversicherung bzw. ein Amts- oder Werksarzt im konkreten Fall arbeitet. In den Fällen, in denen die Erwerbsminderung zunächst zu Unrecht verkannt und erst zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend anerkannt wird, könnten keine Betriebsrentenansprüche ab Eintritt des Versorgungsfalls bezogen werden.

3. Diesem Nachteil der Pensionsberechtigten steht kein schützenswertes Interesse der Pensionskasse gegenüber. Zwar hat sie ein berechtigtes Interesse daran, nur bei einer nachgewiesenen Erwerbsminderung Leistungen zu erbringen. Hierfür ist es aber nicht notwendig, dass der Nachweis bereits bei Antragstellung vorliegen muss.

(LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2017- 6 Sa 983/16, Revision zugelassen)

Berufsunfähigkeit: Zulässigkeit der Verweisung auf eine andere Tätigkeit

1. Verweist der BU-Versicherer den VN abstrakt auf einen anderen Beruf, so muss er die Anforderungen dieses Verweisungsberufs so detailliert beschreiben, dass der VN erwidern kann. Kommt es auf Einzelheiten des Verweisungsberufs an, muss der Versicherer dazu vortragen.
2. Hier: Verweisung auf „Hausmeister in größeren Wohnanlagen/Verwaltungen“ mangels hinreichender Darlegung des Versicherers ohne Erfolg.
(OLG Hamm, Urteil vom 04. Mai 2018 – I-20 U 178/16 –, juris)

BGH: Ämter haben Hinweispflicht auf Leistungen

BGH Urteil vom 02.08.2018 – 323 R 466/16:

Aus den Gründen:

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch ein Beratungsfehler der Mitarbeiter des Beklagten und damit die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB darin zu sehen, dass die Grundsicherungsbehörde beziehungsweise das Sozialamt, obwohl ein
dringender Beratungsbedarf in rentenversicherungsrechtlicher Hinsicht deutlich erkennbar war (möglicher Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente), einen entsprechenden Hinweis unter Verstoß gegen § 14 Satz 1 SGB I unterlassen hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen Auskünfte, die ein Beamter erteilt, dem Stand seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend, sachgerecht, das heißt vollständig, richtig und unmissverständlich, sein, so dass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann. Wenn Rechts- und Fachkenntnisse über den Gegenstand der Auskunft beim Empfänger nicht vorausgesetzt werden können, muss die Auskunft nach Form und Inhalt so klar und eindeutig sein, dass Missverständnisse und Zweifel, wie sie bei unerfahrenen Personen leicht entstehen können, möglichst ausgeschlossen sind. Diese Amtspflicht besteht gegenüber jedem Dritten, in dessen Interesse oder auf dessen Antrag die Auskunft erteilt wird (st. Rspr. vgl. nur Senatsurteilevom 2. Februar 1997-
III ZR 241/95, NVwZ 1 997, 1243 und vom 26. April 2018 – III ZR 367/16, MDR 2018, 793 Rn. 26; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 183 [Stand: 1. April 2018]; jew. mwN).

Schülerunfallversicherung bei Hausaufgaben

Nicht alle Verrichtungen, die wesentlich durch den Schulbesuch bedingt sind und deshalb an sich nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung im zuzuordnen wären, sind versichert.

Dies betrifft insbesondere die Erledigung von Hausaufgaben im privaten häuslichen Bereich der Schüler.

Das BSG hat entschieden, dass Gruppen- und Projektarbeiten außerhalb des Schulgeländes und der Unterrichtszeit stattfinden der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen können.

Dies ist dann der Fall, wenn der einzelne Schüler sich hinsichtlich der von einer Gruppe bestimmten Zeit, dem Ort und der Art der Durchführung nicht ohne weiteres entziehen kann, weil die Mitwirkung von einer Lehrkraft angeordnet war und das Ergebnis bewertet werden sollte.

BSG, Urteil vom 23.01.2018 – B 2 U 8/16 R

Vorschriften zur Abgabepflicht landwirtschaftlicher Höfe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs verfassungswidrig

1. Die Koppelung einer Altersrente an die Abgabe eines landwirtschaftlichen Hofs greift faktisch in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG ein. (Rn.76)
2. Die Pflicht zur Hofabgabe wird verfassungswidrig, wenn diese in unzumutbarer Weise Einkünfte entzieht, die zur Ergänzung einer als Teilsicherung ausgestalteten Rente notwendig sind. (Rn.100)
3. Die Gewährung einer Rente an den einen Ehepartner darf nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofs abhängig gemacht werden. (Rn.104)
(BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 1 BvR 97/14 –, juris)

Haftung der Eltern für einen von ihrem Kind verursachten Wasserschaden

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat; entscheidend ist vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (BGH, Urteil vom 24. März 2009 – VI ZR 199/08 -, Rn. 8, juris m.w.N.) Absolute Sicherheit ist dabei auch im Rahmen des § 832 nicht gefordert; insbesondere ist eine lückenlose Überwachung dann nicht erforderlich, wenn sie eine vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, hemmen würde (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 13, juris).
In einer geschlossenen Wohnung müssen 3-jährige Kinder bereits nicht mehr unter ständiger Beobachtung stehen. Kindern in diesem Alter ist mit Blick auf die persönliche Entfaltung und Entwicklung die Gelegenheit zu geben, sich selbst zu beschäftigen. Auch der Gang zur Toilette bedarf mangels erhöhter Gefahrenlage keiner unmittelbaren Aufsicht mehr. Ausreichend ist es deshalb, wenn sich der Aufsichtspflichtige in Hörweite aufhält. Ebensowenig stellt es eine Aufsichtspflichtverletzung dar, wenn der Aufsichtspflichtige im Vertrauen darauf, dass seine vier und zwei Jahre alten Kinder schlafen oder selbständig im Kinderzimmer spielen, um 6 Uhr morgens noch Nachtruhe hält, während die Kinder aus dem Fenster Spielzeug auf parkende Autos werfen (Staudinger/Bernau (2018) BGB § 832, Rn. 153 m.w.N.).
(OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. April 2018 – I-4 U 15/18 –, Rn. 20 – 21, juris)